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Erfahrungen nach dem Umbau einer Segelyacht auf einen elektrischen Antrieb

Unser Vereinsmitglied Martin Rau aus Konstanz hat im Winter 2015/16 seine BIANCA 27 eigenhändig auf elektrischen Antrieb umgerüstet. Weil zu der Zeit das Angebot an Hochleistungsbatterien noch sehr spärlich war, hat er dafür Blei-Akkus (Ca. 10 kWh) verwendet. Das Ergebnis war sehr überzeugend.

Auf unsere Bitte hin hat Martin eine Dokumentation erstellt, welche die technischen Daten und gemessene Leistungen des umgebauten Boots wiedergibt. Besonders der Zusammenhang von Fahrgeschwindigkeit und Reichweite ist darin gut abzulesen.

E-Segeln? Warum nicht!!

(Verfasser: heurekaLAGO-Vereinsmitglied Dipl. Ing. (FH) Martin Rau, Konstanz)

Wie alles begann…

In der Saison 2015 wurde der noch originale Albin Benzinmotor in der Bianca 27, Baujahr 1969, eine Last. Der Motor war zwar noch zuverlässig, doch während des Betriebs verteilten sich Öl- und Benzindämpfe im ganzen Schiff. Was bei manchen Schiffen unter historischem Bilgemuffel als Alleinstellungsmerkmal vom Eigner gerne in Kauf genommen wird, wurde hier unerträglich. Nach längerer Recherche entschloss ich mich, den alten Motor nicht generalüberholen zu lassen, sondern gegen einen neuen auszutauschen. Ein Verbrennungsmotor schied gleich aus, da es immer schon ein Platzproblem gab und meine Nase auch keine Geruchsbelästigung mehr ertragen wollte. Ein Elektromotor wäre ein tolle Sache, aber wohin mit den Batterien…?

Während der Saison 2015 kroch ich daher häufig im Schiff umher, um mit Kartonmodellen von Batterien eine Einschätzung von möglichen Einbauorten unter den Kojen oder im Motorraum zu bekommen. Unglaublich – es schien tatsächlich möglich. Nun zum Elektromotor, passte der auch zur bestehenden Wellenanlage und zum Propeller? Noch im Wasser ermittelte ich mit einem Drehzahlmesser den Drehzahlbereich bis zur Volllast. Yes – auch dieses Detail passte zu den angebotenen Motoren. Nach einem Kassensturz des Geldbeutels konnte ich endlich in die nächste Runde gehen.

Die Auswahl

Die Firma Kräutler in Lustenau hat mich sehr gut beraten, sodass ich mir defnitiv den Traum dieses nasenfreundlichen Antriebs erfüllen wollte! Ein Elektromotor mit 6 KW Leistung sollte genug Power liefern, um auch mal gegen eine Westwind-Welle im Obersee anfahren zu können. Für den Betrieb habe ich mir den Batteriesatz für 4 h Betrieb zusammenstellen lassen. Die Experten empfahlen dazu eine Batteriekapazität von 10KWh. Das entspricht etwa der Energiemenge von 1,2 Lieter Benzin. Erfreulicherweise wurden im Paket dafür 6V / 220Ah Batterien angeboten, die noch eine handliche Grösse und ein tragbares Gewicht von 40Kg haben. Jetzt galt es, acht Stück davon im Schiff unterzubringen. Ich hatte zwar schon ein gute Vorstellung wo das sein könnte, aber jeder kennt das mit den Rundungen im Schiff – ganz schnell hat man sich verschätzt. Nachdem ich am Nikolaustag 2015 alles außer Batterien bei Kräutler abgeholt hatte, konnte das Abenteuer des Aus- und Einbaus beginnen…

Ausbau und Vorbereitung Motorenbock

Der Ausbau des alten Motor war schnell gemacht. Die Verschraubungen lösten sich anstandslos und der Motor konnte am Kran im Stromeyersdorf zügig herausgehoben werden. Endlich konnte der hintere Rumpf auf der Innenseite und die Bilge komplett von der Ölschicht gereinigt werden. Bei ersten Vermessungen war sofort klar, dass der vorhandene, laminierte Motorenbock viel zu hoch war. Wie ein so massives Ding abbrechen? Erste Versuche mit einer Flex führten zu extremer Staubentwicklung und mussten aufgegeben werden. Schlussendlich gelang der Abbau am Klotz mit einem elektrischen Fuchsschwanz – Scheibchen für Scheibchen. Um zu entscheiden, wieviel entfernt werden muss, wurde der Elektromotor benötigt. Mit der Grosschottalje am Hallendach hob ich den 60 Kg schweren Elektromotor vom Hallenboden aufs Schiff. Damit konnte ich den Motor zur Vermessung dann auch immer wieder an die Zielposition in den Motorraum hieven.

Einbau

Für die zukünftige Motorenbefestigung erstellte ich 2 Modelle der Verschraubungsplatten, die dann anschliessend aus Edelstahl gefertigt wurden. Während andere in der Weihnachtszeit Baumkuchen Schicht für Schicht buken, laminierte ich nun Schicht um Schicht Glasfasermatten auf die alten Fragmente zu einem neuen Motorbock. Schlussendlich wurden noch die 2 Verschraubungsplatten auf den Motorbock und auch die Aufnahmen für die Batterien an den Rumpf laminiert. Ohne Heizlüfter ging da nix. Auch der Laminator musste sich häufig anschliessend zur Zurückerhaltung der Beweglichkeit in die Sauna begeben. Die Nebenbaustellen mit einem neuen Wellenlager und auch eine neue, längere Welle, die wieder mit dem Propeller zu vereinen war, kosteten viel Zeit.

Den grössten Respekt hatte ich davor, den Motor mit der Welle in eine Flucht zu bekommen. Im Vorfeld hatte ich mir schon Messvorrichtungen vor dem Ausbau des alten Motors gebaut und leuchtete später zur Vermessung auch durchs Wellenlager mit einem Laser. Durch das relativ geringe Gewicht des Motors und die leichte Verstellbarkeit der Befestigung war das zu meiner Erleichterung jedoch zügig erledigt. Trotz erster Sorge reichte der Platz für alle Batterien im Motorraum aus. Je 3 Batterien vor und hinter dem Motor und je eine Backbord und Steuerbord unter dem Backskistenboden. Die mit dem Care-Paket gekommenen Kabel und Steuerelektronik passten wunderbar zusammen und bei der ersten Inbetriebnahme zauberte mir die Geräuschlosigkeit des laufenden Motors ein Grinsen ins Gesicht. Jetzt wurde es warm in der Bootshalle und trieb mich an, noch zügig die restliche Elektrik wie Ladegerät und Landanschluss einbauen, denn die Saison 2016 hatte schon begonnen.

Jungfernfahrt

Jeder kennt das – am Kranen ist es eh schon immer spannend. Allerdings dieses Mal war es sehr besonders für mich. Beim endlich schwimmenden Schiff habe ich erst mal mit Herzklopfen in alle Ecken des Motorraums geschaut und tatsächlich – alles dicht – der Haken und die Gurte können weg. Am Kranensteg feierlich den Knopf gedrückt und ein grünes Lämpchen strahlte mich an – zu hören gab es natürlich nichts. Fahrhebel nach vorne und WOW, das Schiff schiebt sich tatsächlich vor. Endlich Leinen los – das unruhige Wasser des Seehrheins wartete auf uns. Vorsichtig schiebe ich den Fahrhebel nach vorne und schiele dabei auf die Leistungsanzeige. Aha, 500 Watt und es fährt schon ganz gut, doch auch völlig lautlos dahin. Unter der Konstanzer Rheinbrücke waren schon 1000 Watt notwendig, um gut durchzufahren – aber das ist eigentlich recht wenig – faszinierend. Was für ein Moment! Meine Familie hatte das Schiff 1976 erworben und jetzt, genau nach 40 Jahren, ein total neues Feeling.

Reichweitenangst?

Nach 5 Saisons kann ich einfach nur sagen – Nein. Ich habe mich daran gewöhnt und ich denke da nur noch selten dran. Auch ein Stromanschluss zum Laden der Batterien gibt es in jedem Hafen am See. Die meisten Fahrten mache ich in den Trichter raus und wieder zurück – da braucht das System dann vielleicht 5% des Akkus. Natürlich muss einem klar sein, dass hohe Geschwindigkeit die Reichweite deutlich reduziert. Bei der rumpfbedingten Verdrängerfahrt braucht man bis etwa 2/3 der Rumpfgeschwindigkeit bei glattem Wasser enorm wenig Energie. Jedes bissel darüber braucht allerdings erheblich mehr Energie. Für mich reicht eine Geschwindigkeit unter der 2/3 Rumpfgeschwindigkeit als Marschfaht völlig aus. Bei 600 Watt reichen die Batterien für 8,5 Stunden mit 6 Km/h für ca. 50 Km Reichweite. Ich bin schon von Konstanz nach Lindau oder von Überlingen nach Langenargen mit etwas weniger Leistung gefahren und hatte am Ziel immer noch 50% Akkuladung. Anders sieht es bei Welle aus, da merkt man die 3,5 Tonnen Schiffsmasse und muss den Fahrhebel auf etwa 1200 Watt stellen, womit man etwa 3,5 Stunden fahren kann. Eigentlich ist der Motor mit 6 KW (=8 PS) überdimensioniert. Die 4 KW Variante hätte auch locker gereicht. Der alte Benzinmotor hatte auf dem Papier 7,3 KW (10 PS).

Geräuschloses Vergnügen

Bei der ersten gemeinsamen Fahrt mit meiner Mutter sind wir unter Motor in den Trichter rausgefahren. Als wir schon ziemlich weit draussen waren, ruft sie plötzlich: “Mensch, wir haben ja noch gar keine Segel oben!” Ja, es ist unglaublich, man hört erst etwa ab 800 Watt etwas Brummen von der Wellenanlage. Es ist so entspannend, an einem heissen Flautentag unter dem Sonnensegel zu sitzen und ohne Geräuschkulisse durchs Wasser zu gleiten und den Fahrtwind und die Ruhe geniessen zu können. Angenehm ist es auch, bei einem der üblichen Windlöcher einfach mal kurz den Knopf zu drücken und die 100 Meter in den Wind zu fahren. Der einzige Nachteil ist, dass man ohne Motorengeräusch den Schub unterschätzt und anfangs immer zu schnell in den Hafen einfährt.

Geht auch E-Segeln?

Ja, natürlich, auch wenn das vielleicht bei manchem eingefleischten Segler die Nackenhaare sträubt, macht es manchmal Sinn bei leichtem Wind und unter Segel den E-Motor zuzuschalten. Ich habe es zu schätzen gelernt, bei leichtem Wind am Sonntagnachmittag im Konstanzer Trichter den Motor minimal zu bestromen. Das hält in dem fürchterlichen Gewell das schwere Schiff einfach auf Kurs und ich kann so gelassen den vorbeisausenden Motorbooten und Dampfern zu winken. So bleibt die richtige Anströmung der Segel erhalten und Segel- und Motorantrieb addieren sich. Manchmal ist man bei leichtem Wind zu seinem Ziel auch zeitlich spät dran und bevor man nur noch mit den Motor fährt und ganz auf die Segel verzichtet, kann man dem Schiff noch etwas zusätzliche Fahrt verleihen. Natürlich ist es für mich unvorstellbar bei einer Regatta damit unsportlich nachzuhelfen. Bei unserer Club-Regatta würde es sowieso sofort auffallen, wenn ich nicht mehr als letzter ins Ziel einlaufen würde.

Verfasser: Martin Rau, Konstanz

Bildergallerie

Technik Elektroantrieb Bianca 27

 

- Bootsdaten Bianca 27

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- Elektroantrieb - umgebaut im Winter 2015/2016

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- Gewichtsbilanz

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- Gewichtsbilanz

- Ladezeiten
In praktisch allen Bodensee Häfen gibt es in Reichweite des Liegeplatzes einen Landstromanschluss abgesichert mit mindestens 6A (1380W)

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- Energieverbrauch
Verbrauchsdaten aus dem Batteriekontroller BMV 700 für 6 Saisons (2016 – 2021).

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