top of page
Vergnügungsschifffahrt auf dem Bodensee: Wieviel Benzin und Diesel verbrauchen die Verbrennermotoren? 

Diese wichtige Frage ist keinesfalls leicht zu beantworten. Es braucht einige detektivische Fähigkeiten, Szene-Kenntnisse und Ausdauer für die Recherche. Unser Mitglied Thomas Stemmer, selbst Freizeitkapitän, hat diese aufgeboten und mit großer Zurückhaltung und Umsicht eine Abschätzung der Gesamtmengen und ihrer Zusammensetzung unternommen. Das Ergebnis ist für alle Beteiligten nicht gerade erfreulich. Ganz grob zusammengefasst, sind es etwa 13 Mio Liter Benzin und 2 Mio Liter Dieselkraftstoff, die nach dieser Schätzung im Jahr 2020 durch die diversen Düsen gedrückt wurden, Tendenz rasch steigend. Alle, die es genauer wissen wollen, können Thomas Stemmers Untersuchung hier nachlesen. Es lohnt sich!

 

Die Statistik

bodensee-schiff-statistik.png

Die Zahlen

  • In Summe waren Ende 2020 25.989 Motorboote am Bodensee zugelassen.

  • Die Gesamtzahl Segelboote mit Hilfsmotor betrug 11.786.

  • Folglich sind Ende 2020 69% der Vergnügungsboote mit Verbrennungsmotor Motorboote bzw. nur 31% sind Segelboote.

  • Die Anzahl Motorboote stieg von 2012 bis 2020 um 3.764 oder 16,94%

  • Die Anzahl Segelboote mit Hilfsmotor sank im gleichen Zeitraum um 1.320 oder 10,07%

  • Allein in zwei Jahren, von 2018 bis 2020, stieg die Zahl der größten Motorboote über 136PS (100KW) von 6,382 auf 6.921, also um über 500 Stück.

  • Laut www.bodenseeinfo.de gibt es am Bodensee 23.681 Wasserliegeplätze, das sind nur gut 60% der Gesamtanzahl zugelassener Boote Die Gruppe der größten Motorboote (>100KW) macht ca. 30% des Motorbootbestandes aus, sie ist aber für über 75% des Treibstoffverbrauchs verantwortlich.

Quellen und Annahmen zur Abschätzung des Treibstoffverbrauchs pro Saison

  • Leistungsklassen: Die stärkste und für die Betrachtung wichtigste Gruppe > 100 KW ist in der Statistik leider nicht differenziert. Schon ein kleines 19ft Motorboot hat heute 250 PS. Wichtig ist die Frage, welche durchschnittliche Leistung der Motorboote für eine weitere Berechnung anzunehmen ist. Die Näherung erfolgte über eine Auswertung des Gebrauchtbootmarkts mit Bodenseezulassung in dieser Klasse (Filter > 100KW). Die Bandbreite reichte von 250 PS als Minimum (für ein 19 ft Boot), bis zu 550 PS als Maximum. Der Durchschnitt lag bei 342 PS. Für die weitere Berechnung wurde sicherheitshalber nur 250 PS für die Klasse > 100 KW angenommen (Quelle: boot- bodensee.com, April 2021, 39 Boote > 100KW)

  • Verbrauch in L/PS: Hierzu findet man Daten einiger Motorenhersteller. Konkret wurden Motoren von Mercruiser, Honda, Suzuki und Mercury ausgewertet. Die Verbräuche der einzelnen Motoren bzw. Klassen lag zwischen 0,37 und 0,31 L/PS bei Vollast. Auch hier wurden sicherheitshalber die niedrigsten aller Werte, 0,31 L/PS für 4-T Ottomotoren und 0,2 L/PS für Dieselmotoren angesetzt (Quelle: https://www.boat-fuel-economy.com/deutsch f. Innen- und Außenborder).

  • Lastkollektiv: Interessant ist die Frage, wie viel Betriebsstunden ein Motorboot im Jahr bewegt und auch, in welchem Lastbereich es gefahren wird. Hier habe ich glücklicherweise eine Studie gefunden, bei der 26 Probanden über fünf Jahre Log über den Betrieb ihrer Boote (Segel- und Motorboote) geführt haben. Dabei ergab sich, dass die durchschnittliche Betriebsstundenzahl mit Motor pro Boot bei 42 Stunden im Jahr lag. Dabei wurde 16% bei Vollast, 71% bei Teillast und 13% im Standgas gefahren. Teillast wurde mit 40% des Verbrauchs angenommen, Standgas mit 5%. Das klingt recht plausibel. Würde man nur Motorboote betrachten, wäre die Stundenzahl vermutlich höher, da Segelboote seltener Motoren. Auf dieser Basis kommt man zu den Ergebnissen im nächsten Abschnitt, die, wie schon erwähnt, sehr vorsichtig gerechnet sind. Der tatsächliche Verbrauch ist wahrscheinlich viel höher (Quelle: Biodiesel und Sportschifffahrt in der Euregio Bodensee von Prof. Dr. – Ing. Klaus Schreiner und Hans Plaettner-Hochwarth).

Abschätzung des Treibstoffverbrauchs und des CO2 Ausstoßes nach o.g. Annahmen

  • Der Benzinverbrauch der Gruppe „4-T Otto“ stieg von 2012 auf 2020 um 34% von ca. 10 auf 13,35 Millionen Liter Benzin.

  • Innerhalb der „4-T Otto“ Gruppe ist die Kategorie > 100 KW mit 10,14 Millionen Litern (ca. 76% des Gesamtverbrauchs) absolut dominant.

  • Der Verbrauch der Gruppe „Diesel“ stieg um 9% von ca. 1,7 auf 1,88 Millionen Liter Diesel.

  • Der Verbrauch beider Gruppen zusammen ist äquivalent zum Ausstoß von ca. 36.600 Tonnen CO2 oder dem „Jahresfußabdruck“ von 4.636 Personen in DE (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153528/umfrage/co2-ausstoss-je-einwohner-in-deutschland-seit-1990/ )

  • In KFZ ausgedrückt entspricht das bei einer Fahrleistung von 25T km/Jahr dem Jahresverbrauch von gut 10T PKWs.

Beurteilung und Kommentar

Der subjektive Eindruck einer steigenden Zahl von immer größeren Motorbooten wird durch die Zahlen bestätigt. Dass Motorboote mit 69% in der großen Überzahl gegenüber Segelbooten mit Hilfsmotor (Verbrenner) sind und wir von knapp 26T Motorbooten auf dem Bodensee sprechen, hat doch sehr überrascht. Der Anteil der Segelboote mit Hilfsmotor ist in den letzten 8 Jahren von 37% auf 31% (unter einem Drittel) gesunken.

Folgerichtig ist gemäß der konservativen Abschätzung und Berechnung zum Treibstoffverbrauch dieser im Betrachtungszeitraum von 2012 auf 2020 um gut 1/3 auf mindestens 13 M Liter Benzin und knapp 2 M Liter Diesel gestiegen. Mit einem CO2 Ausstoß pro Person in DE von 7,9T gerechnet (2019), kommt man auf einen „Abdruck“ von 4.636 Personen p.a. oder 36.600 Tonnen CO2.

Kritische Betrachtung

  • Aus ökologischer Sicht: Bezeichnenderweise wird von „Vergnügungsfahrzeugen“ gesprochen. In der der heutigen Zeit, in der klar ist, dass das Verbrennen fossiler Energieträger katastrophale Auswirkungen hat und der Klimawandel bereits in Mitteleuropa Todesopfer fordert, ist fossile Kraftstoffe in großen Mengen zum Vergnügen zu verbrennen genau das Gegenteil von dem, was dringend geboten ist. Um es klar zu sagen ist es zynisch. Konsequenterweise muss auch auf dem Wasser eine Verkehrswende her, hin zum klimaneutralen Vergnügen.

  • Aus ökologischer Sicht: Der Bodensee ist Natur, Erholung und Ökosystem. Dieses Ökosystem mit 3-stelligen PS aus Verbrennermotoren zu befahren ist schon sehr befremdlich. Wie schon erwähnt, ist der fossile Ressourcenverbrauch „zum Vergnügen“ nicht zu rechtfertigen, aber auch der verursachte Lärm und Wellenschlag ist gegenüber Mensch und Natur rücksichtslos.

  • Bayern: Interessant ist in diesem Zusammenhang der Ansatz Bayerns, wo auf den Seen, außer dem Bodensee, Sportmotorboote mit wenigen Ausnahmen verboten sind. Das ist im bayerischen Wassergesetz verankert, welches den Gemeingebrauch der Gewässer nur zur Freizeitgestaltung und Sportausübung erlaubt. Das Befahren mit Motorbooten fällt in Bayern aus gutem Grund nicht unter diesen allgemein zulässigen Gebrauch und hat im Übrigen auch nichts mit Sport zu tun (Def. Sport: „nach bestimmten Regeln [im Wettkampf] aus Freude an Bewegung und Spiel, zur körperlichen Ertüchtigung ausgeübte körperliche Betätigung.“)

  • Aus sportlicher Sicht: Es gibt sehr viele Segelclubs am Bodensee, die, so wie mein Verein (WYC), folgende Schwerpunkte setzten: „Die Schwerpunkte der Vereinsaktivitäten sind heute der Breitensport – vor allem Fahrtensegeln und Regattatätigkeiten – sowie die seglerische Ausbildung der Jugendmitglieder, theoretische und praktische Ausbildung für Erwachsene bis zur Erlangung unterschiedlichster Patente“. Nahezu alle Vereine verpflichten sich zudem, die Umwelt zu schonen. Die Verdrängung der Segelboote durch die Motorboote gefährdet diese Schwerpunkte der Vereinsaktivitäten. Über die Ziele und Satzungen der Segelclubs am Bodensee sehe ich sogar eine Pflicht, der Verdrängung des Segelsports, auch als Vorbild für die Jugend, entgegenzutreten.

  • Aus seglerischer Sicht: Vorfälle von rücksichtslos gefahrenen Motorbooten, die keinen Abstand halten und großen Lärm und große Wellen verursachen, gibt es an schönen Wochenenden immer. Das geht so weit, dass man an solchen Tagen den Bodensee mit dem Segelboot meidet, weil man dort Lärm und Wellen anstatt Ruhe und Erholung findet. Der Lärm belastet im Übrigen nicht nur auf dem Wasser sondern auch am Ufer die Gäste und Anrainer.

  • Aus seglerischer Sicht: Durch die Verdrängung bzw. zunehmende Motorboote ohne Liegeplatz, wird es als Segler mit Liegeplatz immer schwieriger, auf Segelreise einen Platz zu finden. Motorboote sind schnell am Ziel und immer schon da, wenn man als Segler den Hafen erreicht.

Fazit

Die durch die Zahlen belegte Entwicklung des fossilen Motorbootbestands kann so nicht weiter gehen und ist im Übrigen auch kein Zukunftsmodell. Im Sinne des Klimaschutzes, aber auch der Rücksichtnahme auf Mensch und Natur, muss auch auf dem Wasser dringend eine „Verkehrswende“ erfolgen. Es gibt schon heute viele spannende Alternativen von Motorbooten mit sauberen und leisen Antrieben. Sowohl die Clubs als auch die Hafenbetreiber, Behörden, Hersteller und „Verbraucher“ müssen sich dringend mit der klimaneutralen Mobilität auf dem Wasser und deren Entwicklung auseinandersetzten. Die Wende ist überfällig.

Nachsatz

Die Darstellung soll dazu dienen, sich quantitativ und qualifiziert mit der gezeigten Entwicklung auseinandersetzen zu können. Die kritische Auseinandersetzung ist ein Muss für alle, die dabei eine Rolle spielen (Clubs, Behörden, Gemeinden, Hersteller, Segler, Motorbootfahrer, Betroffene z.B. Gäste und Anrainer). Meine Behandlung des Themas soll explizit kein Vorwurf sein sondern ein Impuls zum Weiterdenken. Wenn es Fragen gibt, melden sie sich einfach unter meiner Email Adresse.

Thomas Stemmer
t.stemmer@streisal.de

bottom of page